UliforteUli Forte, was geht Ihnen derzeit durch den Kopf, wenn Sie die Fussballspiele vor leeren oder halbleeren Zuschauerrängen sehen?

Es sind sehr ambivalente Gefühle. Zum einen sind wir alle froh, dass wieder Fussball gespielt werden darf. Auch wenn es niemandem Freude bereitet, dies in leeren oder halbleeren Stadien zu tun. Die Fans in den Stadien, mit all ihren Emotionen und Leidenschaft, dies alles ist Teil des Fussballs. Ohne Fans im Stadion fehlt dem Fussball ein Teil seiner Seele. Andererseits hat die globale Gesundheitskrise, in der wir uns noch immer befinden, auch vieles relativiert. Fussball ist nicht das Wichtigste auf dieser Welt. Als Italiener habe ich in meiner Familie miterlebt, welche Auswirkungen diese Pandemie haben kann und welche Tragödien und Einzelschicksale sich dahinter verbergen. 

Mit 34 Jahren übernahmen Sie nach Red Star Zürich (1. Liga) und dem FC Wil 2008 mit dem FC St. Gallen ein traditionsreiches Team in der damaligen Nationalliga B und führten es gleich in der ersten Saison wieder in die oberste Schweizer Spielklasse. Wenn Sie den Uli Forte als Trainer von damals und heute vergleichen, inwiefern hat sich der Mensch und Trainer Uli Forte verändert?

2002 habe ich bei Red Star als Spielertrainer ­angefangen. Der Übergang vom Spieler zum Trainer war gewissermassen fliessend. Als ich damals das Team in St. Gallen übernommen habe, war ich nur wenig älter als die Spieler. Auch war ich noch ein Anfänger im Trainerbusiness. Nach dem sofortigen Aufstieg gelang uns in der Folgesaison mit einem jungen Team der Ligaerhalt. In der dritten Saison endete dann mein Engagement in St. Gallen abrupt. Als Trainer muss man sofort den Durchblick erlangen. Man muss sehen, wo braucht es welche Spieler? Was ist entscheidend? Das alles hat mit Erfahrung zu tun. Heute, 12 Jahre später, kann ich mit schwierigen Situationen und Niederlagen besser umgehen, sie besser einordnen. Ich hinterfrage mich als Trainer noch immer, doch manchmal liegen die Gründe des Scheiterns auch im Umfeld begründet, das man als Trainer nicht beeinflussen kann. Manchmal fehlt schlichtweg das Wettkampfglück. Insofern bin ich ein wenig gelassener geworden. 

Leidenschaft, Emotion, Motivation – als Trainer und Mensch stehen Sie in der Öffentlichkeit sinnbildlich für diese Begriffe. Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft?

Trainer zu sein, war für mich stets mehr als ein Job – es ist für mich eine Berufung mit Leidenschaft und diese gebe ich meinem Team vor jedem Spiel mit. Seit meinen Anfängen als Spielertrainer bei Red Star Zürich lebe ich diesen Beruf. Ich will mit meinem Team den Erfolg und bin bereit, alles dafür zu tun. Selbst wenn ich nur als Besucher ein Fussballspiel auf der Tribüne verfolge, kreisen meine Gedanken um Aufstellung, Strategie und Taktik. Als Trainer braucht es taktische und fachliche Kompetenz, psycho­logisches Geschick, Identifikation mit dem Arbeitgeber und den Anhängern des Vereins. Als Trainer steht man stets in der Öffentlichkeit und hat letztlich die Verantwortung für den spielerischen Erfolg. Der Umgang mit den Medien als Trainer ist dabei häufig eine Gratwanderung, insbesondere wenn es einmal nicht so läuft. Oft ist dies alles ein Wahnsinnsspagat und impliziert viel Druck, mit dem man lernen muss, umzugehen. Dies steht man nur durch, wenn man den Fussball liebt und jeden Tag lebt. Seit einigen Monaten bin ich nun Vater, dies verschiebt ein wenig die Prioritäten, schenkt mir gleichzeitig auch neue Kraft.

In den 1960er Jahren kamen Ihre Eltern mit 5'000 Lire aus Salerno in die Schweiz und benannten Sie aus Dankbarkeit nach dem Bauern, der Ihrer Familie in Bassersdorf ein Auskommen und ein Dach über dem Kopf gab – inwiefern ist ihre Herkunft für Sie noch heute prägend als Mensch und als Trainer?

 Die Herkunft ist immer prägend. Ich komme aus einer italienischen Arbeiterfamilie und entsprechend habe ich für meinen Weg und meine Erfolge immer hart gearbeitet. Meine Eltern haben mir dies so vorgelebt. Dazu gehört die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ein gewisser Mut zum Risiko. Ich liebe Herausforderungen, sonst hätte ich nicht so viele Vereine in existenzbedrohenden Situationen als Trainer übernommen. Gleichzeitig habe ich in meiner bisherigen Trainerlaufbahn als Mensch und Trainer immer versucht, möglichst authentisch zu bleiben. Dazu gehören auch meine Leidenschaft und meine Impulsivität, gepaart mit Warmherzigkeit und Familiensinn. Ich verstehe mich als Führungsperson und dennoch als Teamspieler und weiss, dass der Erfolg immer viele Väter hat. 

Sie haben an der Uni Zürich Betriebswirtschaft studiert und derzeit absolvieren sie gerade eine Sportmanagement-Weiterbildung an der Universität St. Gallen und sind entsprechend auch mit den Mechanismen der Wirtschaftswelt vertraut. Inwiefern lässt sich die Führung eines Fussballteams mit der Führung eines Unternehmens vergleichen?

Eine Mannschaft kann nur harmonieren, wenn alle füreinander einstehen und man die gleichen Ziele verfolgt. Fussball ist und bleibt ein Teamsport. Es braucht Erfolgsdenken und eine Leistungskultur. Dies ist in einem Unternehmen nicht anders. Von der Führungscrew sind klare Ansagen gefordert, was die Kultur, die Philosophie, die Strategie und deren Umsetzung betrifft. Geschäftsführer und Trainer sind letztlich verantwortlich für den Erfolg. Sie müssen in ihrer Tätigkeit Risiken eingehen und ihre Mitarbeiter und Spieler begeistern und motivieren. Als Trainer kommt vielleicht erschwerend hinzu, dass man kaum Zeit erhält, die eigenen Ideen und Konzepte umzusetzen. Der Fussball ist stark resultat- und kurzfristig orientiert. Eine nachhaltige, mittel- bis langfristige Sichtweise ist kaum anzutreffen, weil der betriebswirtschaftliche Erfolg eines Teams so stark vom spielerischen Erfolg einer Mannschaft abhängt. 

Es fällt auf: Nicht nur in Sachen Sportmanagement, auch als Trainer bilden Sie sich stetig weiter. Sie haben in den vergangenen Jahren unter anderem Stages bei den Besten ihres Fachs wie Jürgen Klopp, Pep Guardiola, Lucien Favre, Othmar Hitzfeld, Walter Mazzarri oder auch Mark Hughes absolviert. Welche Eindrücke waren für Sie bis heute am Prägendsten bzw. wie sind diese Erfahrungen in Ihre Arbeit eingeflossen?

Ich bin als Mensch offen, neugierig und möchte mich stets auch als Trainer weiterentwickeln. Insofern war und ist es ist ein grosses Privileg und äusserst lehrreich, Einblick in die Arbeit der Besten ihres Fachs in den unterschiedlichsten Ligen von der Premier League über die Bundesliga bis zur Serie A  zu erhalten. Es ist natürlich ungemein lehrreich zu sehen, wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola mit ihren Teams arbeiten.

Was macht einen guten Trainer aus?

Ich denke, dass die Handschrift eines guten Trainers in der Spielweise seines Teams erkennbar ist. So hat Pep Guardiola mit dem Tiki-Taka-Fussball eine Ära in Barcelona geprägt. Jürgen Klopp hat mit seinem überfallartigen Konterfussball den FC Liverpool nach Jahrzehnten wieder zur Meisterschaft geführt. Beiden gemeinsam ist, dass man bei jedem Team, das sie betreuen, immer ihre Handschrift sieht.

Der Trainer Uli Forte schaut aber auch über den Fussball-Tellerrand hinaus. Bei Arno del Curto haben Sie auch eine Stage im Eishockey absolviert. Welche Gemeinsamkeiten haben Sie angetroffen?

Arno del Curto hat in Davos eine Ära geprägt. Er verkörpert als Trainer eine totale Hingabe und Leidenschaft an den Sport, die mich natürlich fasziniert. Auch ist er als Mensch sehr emotional und impulsiv. Ich finde es sehr beeindruckend, wie er es geschafft hat, über eine solche lange Zeit sein Feuer und seine Leidenschaft zu bewahren. Er brennt für das Eishockey. Es gibt einen bestimmten Trainertypus, dem man – zu Unrecht wie ich finde – immer wieder vorwirft, dass sich dessen Arbeitsweise, weil sie viel auf Emotion und Motivation beruht – abnutzt. Arno del Curto hat gezeigt, dass sich diese Methoden nicht einfach abnutzen, sondern dass man sich auch als impulsiver und leidenschaftlicher Trainer über eine lange Zeit treu und erfolgreich bleiben kann.  

Sie können sich in sechs Sprachen mit Ihren Spielern verständigen. Wie wichtig ist für einen Trainer die Sprache und die Verständigung?

Es ist sicherlich von Vorteil, wenn man als Trainer seine Vorstellungen von Fussball auch sprachlich vermitteln kann. Nicht zuletzt hat es auch eine psychologische Komponente. Wenn ich mich mit einem Spieler in seiner Sprache unterhalten kann, dann fühlt er sich als Mensch besser verstanden und wertgeschätzt, was die Integration in das Team stark vereinfacht. 

Wer Ihre Karriere als Trainer in den vergangenen Jahren verfolgt hat, würde Sie vielleicht als Krisenmanager für aussichtslose Fälle bezeichnen. Sie werden häufig gerufen, wenn sich Vereine in schwierigen Situationen befinden und Sie hatten in solchen Situationen häufig Erfolg. Woran liegt dies?

Meine Leidenschaft für den Fussball überträgt sich rasch und unmittelbar auf die Spieler. Eine meiner Stärken liegt sicherlich in der Motivation und der Vermittlung von einfachen und klaren Bildern. Durch mein zuversichtliches und positives Naturell kann ich Spieler in schwierigen Situationen neu motivieren und ihnen neues Vertrauen und Zuversicht einflössen. Häufig fehlt ja wenig zum Erfolg. Wenn ich ein Team in einer Abstiegssituation übernehme, dann kann ich als Trainer nicht in die Grundlagenarbeit und zu stark in technisch-technische Aspekte investieren, sondern dann ist der Psychologe gefordert. Ich muss sofort Zeichen setzen und mit aller Kraft versuchen, das Ruder herumzureissen und das Team auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Häufig fehlt es den Spielern in solchen Situationen an Vertrauen und sie zweifeln zu sehr. 

2013 war das wohl erfolgreichste Jahr Ihrer bisherigen Trainerkarriere. Mit den Grasshoppers Zürich wurden Sie Cupsieger und Vize-Meister. Es folgt die Wahl zum Trainer des Jahres. Was braucht es als Trainer um Erfolg zu haben, neben dem üblichen Wettkampfglück?

Der Erfolg hat immer verschiedene Ursachen und Väter. Als Trainer bin ich auf ein stabiles und verlässliches sportliches Umfeld angewiesen. Ich brauche das Vertrauen der Vereinsführung, gerade auch in sportlich schwierigen Zeiten. Das ist in einem Unternehmen nicht anders. Wenn der Verwaltungsrat nicht hinter dem Geschäftsführer steht, dann ist der Misserfolg vorprogrammiert. Dann braucht es die richtigen Spielerpersönlichkeiten, eine ausgewogene Mischung von älteren bestandenen Spielern und talentierten jungen Spielern. Wenn es mir dann als Trainer gelingt, daraus eine Einheit zu bilden, die meine Spielphilosophie mitträgt und versteht, dann sind die Voraussetzungen für den Erfolg gegeben. Dann braucht es in den entscheidenden Situationen auch noch ein wenig Wettkampfglück. 2013 war ein solches Jahr und die Rahmenbedingungen passten einfach perfekt. 

Sie sind als Trainer zweimal Cupsieger geworden. Kommt Ihnen der Alles-oder-nichts-Mechanismus des Cups entgegen?

Die zwei Cupsiege waren sicherlich Höhepunkte in meiner Karriere. Aber ich spielte auch zweimal in der Gruppenphase der Europa League und bin zweifacher Vizemeister. Ich sehe mich als «uomo universale». Als Trainer muss man rasch sehen, was es braucht, was fehlt, was entscheidend ist. Ich bin ein Wettkampftyp, entsprechend liegt mir natürlich der Cup-Modus. Im entscheidenden Moment, sei es in einem hart umkämpften Cupspiel oder einer schwierigen Tabellensituation, kann ich durch meine Art manchmal den Unterschied machen und die letzten Reserven aus den Spielern herausholen. Alle und alles zu mobilisieren, ist sicherlich eine Stärke von mir. 

Ein weiteres Merkmal Ihrer bisherigen Trainerkarriere ist, dass sich unter Ihrer Leitung junge Spieler häufig vielversprechend entwickeln und dann zu grossen Vereinen wechseln. Beispiele unter vielen sind Roman Bürki oder Michael Lang. Was sind die Erfolgsfaktoren als Coach im Umgang mit jungen hoffnungsvollen Talenten?

Gestandene Spieler geben einem Team Sicherheit und die Jungen bedeuten die Zukunft. Langfristiger Erfolg als Trainer kann man nur erreichen, wenn man Leistungsträger und Zukunftstalente gemeinsam arbeiten und wachsen lässt. Ich kann mich gut in die jungen Spieler hineinversetzen und es macht mir sehr viel Freude, mit ihnen spielerisch und menschlich zu arbeiten. Hinzu kommt, dass es sich bei vielen jungen Talenten um Persönlichkeiten mit einem Migrationshintergrund handelt, deren Denk- und Sichtweise ich gut nachvollziehen kann.

Interview: Michael Schiendorfer

 

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